«Wir bemerken einen starken Bewusstseinswandel»

    Der Schweizer Heimatschutz honoriert das fast vierzigjährige Engagement von ProSpecieRara für die Erhaltung der Sorten- und Artenvielfalt bei Nutz- und Zierpflanzen mit dem diesjährigen Schulthess Gartenpreis. Béla Bartha, Geschäftsführer von ProSpecieRara, gibt Einblick in zahlreiche nachhaltige Projekte und Leuchttürme für eine gesunde und ökonomische Kulturlandschaft in der Schweiz.

    (Bilder: zVg) Ergänzung zum bestehenden Sortenerhalternetzwerk: In der ProSpecieRara-Samengärtnerei für professionelle Vermehrung von Gemüse- und Zierpflanzenarten beim Schloss Wildegg wird Wissen gesammelt und vermittelt.

    ProSpecieRara engagiert sich seit fast 40 Jahren für die Erhaltung der Sorten- und Artenvielfalt bei Nutz- und Zierpflanzen. Eine grosse Aufgabe – was haben Sie bis jetzt erreicht? Béla Bartha: Schon sehr viel. Einerseits haben wir erreicht, dass überhaupt ein Bewusstsein dafür ent- standen ist, dass auch bei den Kulturpflanzen und Nutztieren – also der Basis unserer Ernährung – die Vielfalt schwindet und dies eine gefährliche Tendenz ist. Denn diese Vielfalt ist nicht nur toll auf dem Teller, sondern bietet auch Sicherheit: Eine grosse genetische Basis kann besser mit sich verändernden Bedingungen (zum Beispiel neuen Krankheiten oder steigenden Temperaturen) umgehen, als ein paar wenige Hochleistungssorten oder -rassen, die genetisch alle sehr ähnlich sind.

    Zudem haben wir ganz konkret erreicht, dass 4700 Obst-, Gemüse, Zierpflanzen-, Kartoffel-, Kräuter- und Beerensorten und 32 Tierrassen überlebt haben. Dies haben wir natürlich nicht alleine erreicht, sondern zusammen mit einem engagierten Netzwerk aus Ehrenamtlichen und Gönnerinnen und Gönnern.

    ProSpecieRara gewinnt für diesen wichtigen Beitrag den Schulthesspreis 2021. Was bedeutet Ihnen dieser Preis? Er ist eine sehr schöne Anerkennung für die Arbeit von ProSpecie-Rara und die vielen Helferinnen und Helfern. Dass der Preis vom Schweizer Heimatschutz gesprochen wird, also einer Institution, die sich stark auf den kulturhistorischen bzw. den gesellschaftlichen Aspekt unserer Arbeit bezieht, macht diesen Preis für uns zusätzlich wertvoll. Denn unsere Tätigkeit geht weit über die reine Erhaltung von genetischer Vielfalt hinaus – das wird mit diesem Preis wertgeschätzt.

    Wofür wird die Preissumme von 25’000 Franken eingesetzt? Ganz konkrete Pläne dafür gibt es noch nicht, wir werden dies im Team besprechen und dann entscheiden. Aber es gibt bereits Ideen, wie zum Beispiel die Mittel für die Stärkung unseres Erhalternetzwerkes einzusetzen, oder für die Weiterentwicklung unserer neu eingerichteten Samengärtnerei in Wildegg.

    Für die Erhaltung der über 4700 ProSpecieRara-Sorten sind Sie auf das Engagement der Ehrenamtlichen angewiesen. Wie wird man Sortenbetreuer und hilft mit, das Überleben seltener Sorten zu sichern? Wenn man Gemüsesorten erhalten möchte, die über Samen vermehrt werden, kann man als Einstieg erstmal ein Probierset bestellen. Dieses enthält relativ einfach zu vermehrende Sorten, und so kann man ausprobieren, ob einem das überhaupt zusagt. Danach besucht man einen unserer Samenbaukurse. Wir bieten einen halbtägigen Kurs an, in dem man lernt, wie Selbstbefruchter wie Tomaten, Bohnen oder Salat nachhaltig vermehrt werden. Für die, welche tiefer in die Materie eintauchen und auch schwieriger zu vermehrende Fremdbefruchter betreuen möchten, bieten wir einen viertägigen Kurs an. Dieses Handwerk gründlich zu lernen ist für eine nachhaltige Sortenerhaltung sehr wichtig, um Verkreuzungen und weitere Fehler möglichst ausschliessen zu können.

    Eine Herausforderung ist auch, die 32 seltenen Tierrassen vor dem Aussterben zu bewahren. Wie gelingt dies und wer beteiligt sich daran? Das A und O bei der Rasseerhaltung ist es – wenn man die letzten Tiere einer Rasse mal ausfindig gemacht hat – ein Netzwerk an Tierhaltern und Tierhalterinnen aufzubauen, die sich einer Rasse widmen. Ist dieses genügend gross und stabil, wird ein Rasseverein gegründet, der von nun an in Zusammenarbeit mit Pro-SpecieRara die Zucht koordiniert, also ein Zuchtbuch führt, Expertinnen und Experten ausbildet, Züchtertreffen koordiniert und Tiere vermittelt. Um neue Interessierte zu finden, organisiert ProSpecie-Rara alle fünf Jahre in Brunegg in der Vianco Arena die Tier-Expo. Dieses Jahr am 2. und 3. Oktober ist es wieder so weit. Dort werden alle 32 Rassen – von der Dunklen Biene bis zum Freiberger Pferd anzutreffen sein.

    Beim Schloss Wildegg im Kanton Aargau steht die ProSpecieRara- Samengärtnerei für professionelle Vermehrung von Gemüse- und Zierpflanzenarten. Welche Bedeutung hat dieses Projekt? Sie ist eine perfekte Ergänzung zu unserem bestehenden Sortenerhalternetzwerk. Denn es gibt Kulturen, die im Hausgarten nicht gut vermehrt werden können, weil sie zu viel Platz brauchen oder leicht mit Sorten in Nachbarsgärten verkreuzen. Diese können wir in der Samengärtnerei vermehren. Zudem ist es ein Ort, an dem Wissen gesammelt und weitergegeben wird.

    Sie haben am Hauptsitz in Basel eine Samenbibliothek mit Saatgut von über 1700 seltenen Garten-, Acker- und Zierpflanzen-Sorten aufgebaut. Wie wird sie gepflegt und gehegt? Das Saatgut geht von hier aus in unser Netzwerk, wird dort vermehrt und kommt als frisches Saatgut wieder zurück. Je nach Art ist das Saatgut nur ein Jahr lang keimfähig oder auch bis zu zehn Jahre lang. Damit wir einen Überblick über das Alter und die Herkunft des Saatgutes haben, sind alle Bewegungen in der Samenbibliothek in einer Datenbank festgehalten. So wissen wir genau, von welcher Sorte wie viel Saatgut vorhanden ist und wie alt es ist.

    Mit einer Online-Tiervermittlungsplattform fördert ProSpecieRara den Austausch und damit die Verbreitung der gefährdeten Nutztierrassen. Wie gut funktioniert das? Das funktioniert sehr gut, tierischeraritaeten.ch wird rege gebraucht. Im Gegensatz zu anderen Inserate-Plattformen werden hier ausschliesslich Tiere vermittelt, die im Herdenbuch registriert sind, mit denen also offiziell zur Rassenerhaltung beigetragen werden kann. Ist kein passendes Tier aus- geschrieben, kann man auch selber ein Such-Inserat erstellen. Das Ganze ist kostenlos.

    Welche Rassen sind besonders gefährdet? Alle unsere 32 Rassen sind «noch nicht über den Berg». Aber besonders wenige Tiere gibt es zum Bei- spiel von den Grüenochte Geissen und den Capra Sempione. Das sind zwei Farbschläge aus dem Walliser Ziegenkomplex, zu dem auch die Walliser Schwarzhalsziege und die Kupferhalsziege gehören.

    Béla Bartha, Geschäftsführer von ProSpecieRara: «Die Zusammenarbeit mit einem Grossverteiler wird sogar europaweit als Leuchtturm wahrgenommen.»

    Wer erhält ein ProSpecieRara- Gütesiegel? Das Gütesiegel erhalten im Tierbereich jene Züchterinnen und Züchter, die seriöse Erhaltungszucht betreiben, die also ihre Tiere im Herde- buch registrieren und darauf achten, dass Mutter- und Vatertiere genetisch passen. Im Pflanzenbereich sind es die offiziellen Sortenerhalterinnen und Sortenerhalter, welche uns einmal jährlich mitteilen, ob die Sorten, welche wir bei ihnen in Erhaltung registriert haben, auch tatsächlich noch bei ihnen leben.

    Sie haben zahlreiche Projekte. Welches sind die Leuchttürme? Wir arbeiten ja in verschiedenen Bereichen, entsprechend gibt es verschiedene Leuchttürme. Im Gemüse- und Zierpflanzenbereich ist dies sicher unsere Samenbibliothek und das dazugehörige Erhalternetzwerk, in dem der immer grösser werdende Erfahrungsschatz die nachhaltige Absicherung unserer Sorten sicherstellt. Beim Obst wiederum ist es das Obstgartennetz mit den 120 Obstsammlungen, das ProSpecie-Rara koordiniert. Im Tierbereich sind wir stolz auf die vielen Zuchtvereine, die wir im Laufe der letzten 40 Jahren mitgegründet haben und die heute sehr eigenständig agieren. Wir unterstützen sie nach wie vor nach Kräften. Die Rettung der Saaser Mutten oder der Grüenochte Geiss sind neuere Projekte, in welche wir zurzeit unser Engagement stecken. Und natürlich freut es uns auch sehr, dass es uns gelungen ist, die vielen Sorten mit unseren Märkten, engagierten Produzentinnen und Produzenten sowie Coop wieder zur breiten Bevölkerung zu bringen. Die Zusammenarbeit mit einem Grossverteiler wird sogar europaweit als Leuchtturm wahrgenommen. Leuchttürme sind keine Eintagsfliegen, sondern langfristige Aufgaben, welche die Stiftung übernimmt und die dazu führen, dass die Vielfalt wieder zurück in unsere Kulturlandschaft findet und diese vermehrt prägt.

    Welche Bedeutung hat ProSpecie-Rara in der heutigen Zeit, die geprägt ist von Nachhaltigkeit und Klimaschutz? Wir bemerken in den letzten Jahren einen starken Bewusstseinswandel. Unsere Märkte erfreuen sich immer grösserer Beliebtheit und wir können auf die Unterstützung von immer mehr Ehrenamtlichen aber auch Gönnern zählen. Das hat sicher auch mit einer Art Rückbesinnung zu tun, die Leute haben wieder mehr das Bedürfnis, sich zu «erden», lokale, saisonale Produkte einzukaufen und «echte» Nahrungsmittel zu essen. Und dafür haben wir natürlich die perfekte Basis. Dies zeigen wir auch mit unserem aktuellen Projekt «Saison- Lieblinge». Auf prospecierara.ch/saisonlieblinge kann man sich kostenlos ein Saisonposter bestellen, auf dem über 50 ProSpecieRara-Sorten illustriert und nach Saison geordnet sind.

    Haben Sie Pläne und Visionen für die nächste Zeit? Eine meiner Vision ist es, dass wir uns zusammen mit anderen Initiativen verstärkt für die Verbesserung der Biodiversität auf den kultivierten Flächen einsetzen wollen. Diese Flächen machen rund 36 Prozent der Fläche der Schweiz aus. Besonders in Stadtnähe, wo Produktion und Konsum räumlich nahe beisammen sind, bieten die ProSpecieRara-Sorten und -Rassen interessante Möglichkeiten. Gleiches gilt natürlich auch für Privatgärten und öffentliche Grünanlagen. ProSpecie-Rara möchte in diesem Bereich noch mehr zu einer aktiven, unterstützenden Partnerin werden und zu einer vielfältigen, ökologischen und gesunden Kulturlandschaft einen entscheidenden Beitrag leisten.

    Corinne Remund

    www.prospecierara.ch


    ProSpecieRara-Events im Aargau

    Der Aargau steht in diesem Herbst ganz im Zeichen der Pro-SpecieRara-Veranstaltungen:

    • Am 2. & 3. Oktober wird die Vianco Arena in Brunegg mit der Tier-Expo zum Zentrum der seltenen Rassen. Alle fünf Jahre werden dort die 32 ProSpecieRara-Rassen ausgestellt – der perfekte Ort, um seine neue Lieblingsrasse zu treffen.
    • Am 17. Oktober findet auf dem Heiternplatz oberhalb von Zofingen der traditionelle Reutenmarkt statt, an kulinarische Gaumenfreuden aus alten Sorten und Rassen verkauft wird.

      Bitte informieren Sie sich unter prospecierara.ch/kalender, ob die Events auch tatsächlich durchgeführt werden können.

    Vorheriger ArtikelEditorial von Dr. Philipp Gut
    Nächster ArtikelThierry Burkart trifft Minister gegen Klimawandel